Homepage: ITV Grenzenlos e.V.
Reiseziel: Istanbul/Beykoz
Reisedauer: 12. bis 17. Mai 2010
Teilnehmer: Dr. Helga Körnig, Eckhard Reis,
Susanne und Heiko Kappe
Außerdem anwesend: Praktikantin Susanne Hefekäuser
von dpa Istanbul, Banu Knüppel und Yasemin Baban
Bürgermeister Yücel Celikbilek von Beykoz /Istanbul bekennt sich zum
Tierschutz
Nach all den schrecklichen Greueltaten, die vor 2 Jahren den Hunden in Beykoz angetan worden waren (vgl. die Informationen und Interventionen von PETA und anderen Tierschutzvereinen, die im Jahre
2008 weltweit Aufmerksamkeit im Internet fanden), war es ein wagemutiges Unterfangen, wieder dorthin zu gehen und zu erleben, wie die Situation heute ist. Kontaktaufnahmen und Recherchen vor einer
Reise von Mitgliedern des ITV Grenzenlos e.V. nach Istanbul ergaben Widersprüchliches. Bruchstückhafte Tatsachenberichte, Meinungsäußerungen und versteckte Hilferufe beunruhigten uns, spornten uns
aber gleichwohl auch an, Verbindungen nach Beykoz aufzunehmen.
Bei der Vorbereitung der Reise erfuhren wir, dass Beykoz der Stadtteil auf der asiatischen Seite von Istanbul ist, der wegen seiner bevorzugten Lage am Bosporus und am Schwarzen Meer und wegen seiner
angrenzenden Wälder vielen Bewohnern von Istanbul als Erholungsort dient. Gleichzeitig gilt er als beliebter Wohnort für Industrielle und Künstler. Beykoz hat rd. 250 000 Einwohner und eine lange
Geschichte. 85 % der Fläche ist Grünfläche; der Rest ist dicht besiedelt.
Am 26. Januar 2008 wurde mit der Stadt Mühlheim an der Ruhr eine Städtepartnerschaft gegründet, die sich bis heute insbesondere auf Fragen der Migration, den Kontakt zwischen Schulen, Theatern,
Museen und Krankenhäusern konzentriert.
Unter Tierfreunden in aller Welt hat Beykoz einen schlechten Ruf erworben, seitdem bekannt wurde, dass die Bevölkerung aus Istanbul
in den Wäldern von Beykoz immer mehr Hunde aussetzte. Die Tiere wurden und werden dort heute noch massenweise „entsorgt“ ohne zu bedenken, dass sie in den abgelegenen Gebieten weder Futter noch
Wasser finden. Kein Wunder, dass sie erkranken, verhungern, dass sie jedem vorbeifahrenden Auto hinterher laufen und betteln!
Alarmierte und mitleidige Tierfreunde
versuchen, die Tiere mit Nahrung und Wasser zu versorgen und ihnen Schutzhütten zur Verfügung zu stellen. Aber es werden immer mehr, weil sie sich unkontrolliert vermehren, und weil ständig neue
Hunde inIstanbul – der „Europäischen Kulturhauptstadt 2010“ - eingefangen und im Wald ausgesetzt werden. Man schätzt die Zahl der streunenden Hunde im Stadtteil Beykoz
inzwischen auf 7 000, die meisten davon leben in den Wäldern.
Und immer wieder werden unzählige dieser hilflosen Tiere auf brutale Weise getötet, weil die Menschen angeblich Angst
vor den Hunden haben: Überall im Wald finden Tierschützer Tierleichen, deren Zustand auf Vergiftung schließen lässt und die nicht einmal beseitigt werden. Eine ernsthafte Quelle von
Seuchengefahr.
Die Tierschützer führen einen täglichen aufreibenden Kampf für das Leben dieser Hunde. Sie sind, wie es z.B. in einem Bericht in der Zeitschrift „Dogs“ vom Mai /Juni 2010 („Im Namen Allahs“) heißt,
über Facebook miteinander verbunden und kümmern sich um die Hunde. Es ist ein unhaltbarer Zustand, denn das Leben der Tiere ist allein von der Hilfe freiwilliger Tierfreunde abhängig. Und sie sterben
dennoch, weil niemand sie vor heimtückischen Vergiftungen schützt.
Mit diesen Informationen ausgestattet, traten wir am 12. Mai die Reise nach Istanbul an. Schon am nächsten Tag waren ein Besuch im Städtischen Tierheim von Beykoz und ein Gespräch im Rathaus der
Stadt vorgesehen.
Auch hier im Tierheim hatten vor kurzem noch
schreckliche Zustände geherrscht. Die Berichte im Internet waren voll von Meldungen und Fotos von sterbenden oder gestorbenen Tieren, die nicht gefüttert wurden und gefangen in ihren
Zwingern übereinander herfielen. Kadaver und angefressene Hunde blieben einfach liegen.
Das Städtische Tierheim von Beykoz, war ursprünglich von Berrin Olcay und Yasemin Baban vorbildlich geleitet worden. Mitte 2008 jedoch wurden heftige Attacken gegen
die beiden Frauen geführt, sie würden die Hunde für viel Geld nach Deutschland „verkaufen“, und es begann ein Desaster. Berrin und Yasemin, die zuvor sehr viel in den Ausbau sowie die Versorgung der
Hunde investiert hatten, erhielten Hausverbot und alle freiwilligen Helfer und andere Tierfreunde durften das Gelände nicht mehr betreten. Alle Hunde mussten unter den maßlosen Maßnahmen der Behörden
unendlich leiden. Die internationale Presse berichtete über diesen Skandal.
Erst als in Beykoz im März 2009 ein neuer Bürgermeister gewählt wurde, fand das Grauen ein Ende: Bürgermeister Yücel Celikbilek bezeichnet sich selbst als bürgernah und „Freund der Tiere“. Er hat
sich in einem Zeitungsbericht vom 18. Mai 2010 öffentlich dazu bekannt, dass in der Stadt Beykoz „lebende Hunde und Katzen der Gesundheit der Menschen und der Umwelt keinen Schaden zufügen“. „Die
Straßentiere sind eine Realität unserer Gemeinde und unseres Lebens“. Deshalb werden in Kooperation mit den anderen Bürgermeistern des asiatischen Teils Istanbuls sowie mit den Bürgern Maßnahmen und
gemeinsame Projekte entwickelt, um das Elend der Tiere zu mildern.
Es gibt auf dem Gelände ein Haus für die Mitarbeiter und den Operationsraum, zahlreiche Zwinger mit 1 oder mehreren
Hunden, Hundehütten und daran angekettete Hunde und viele frei laufende Tiere, die sehr friedfertig sind und die menschliche Nähe suchen. Viele der Tiere sind geimpft und kastriert. Sie werden
regelmäßig gefüttert und – falls erforderlich - veterinärmedizinisch behandelt.
Der Bürgermeister bemüht sich in Aufklärungskampagnen um die Vermittlung der Hunde. Er verspricht jedem, der einen Hund aus dem Tierheim adoptiert, eine Hundehütte als Geschenk. Er selbst hat auch
einen Tierheimhund adoptiert. Tatsächlich wurden in den Tagen unserer Anwesenheit in Istanbul drei Hunde vermittelt.
Uns erschien die Situation im Tierheim auf den ersten Blick befriedet.
Männer zerrten aus dem Wagen an Drahtschlingen gefesselte Hunde, die schrecklich jaulten und schrieen. Die Hunde
waren irgendwo als Streuner aufgegriffen worden, um im Tierheim von Beykoz kastriert zu werden. Die Art und Weise, wie sie behandelt wurden, war brutal und machte uns zornig. Man warf sie an den
Schlingen die Treppe hinauf ins Haus, wo sie dann für die Kastration vorbereitet wurden. Auf unsere Vorhaltungen, man könne die Hunde doch schmerzfrei in Boxen transportieren und diese Boxen dann ins
Haus bringen, um sie dort auszuladen, erhielten wir nur ein Schulterzucken als Antwort. Die kastrierten Tiere sollen dort wiederausgesetzt werden, wo sie gefangen wurden. Tierschützer bezweifeln,
dass die Hundefänger sich diese Mühe machen. Sie begreifen nicht, dass damit eine große Chance vertan wird, den „Platz“ des Hundes mit einem unfruchtbar gemachten Hund wieder zu besetzen. Stattdessen
kann ein neuer fortpflanzungsfähiger Hund „einwandern“.
Während man die leeren Trinkgefäße noch mit Desinteresse und Gleichgültigkeit der Angestellten sowie mit schlechtem Management erklären kann, ist die Grausamkeit im Umgang mit den Hunden nicht
tolerabel! Hier fehlt es an grundsätzlichem Verständnis und an Sensibilität für die Qualen der Tiere!
Kastrieren ist wichtig – aber nicht so!
Ein anderes Verhalten der Angestellten im Tierheim fiel den Tierschützerinnen auf: Manche Hunde, die dort schon lange
leben, verschwinden plötzlich und bleiben unauffindbar. So geschah es mit einem weißen abgemagerten Rüden, der uns interessierte, und um den wir uns kümmern wollten. Wir fotografierten ihn. Am
nächsten Tag war er nach Aussagen von Yasemin Baban nicht mehr da. Es gab keine Erklärung dafür. Ganz offensichtlich hatte man ihn „beseitigt“, in den Wald gesetzt oder ihm Schlimmeres angetan.
Die Leitung des Tierheims und die Kontrolle der Hunde sind mangelhaft und sollten verbessert werden.
Das Tierheim ist ringsum von Wald umgeben. Auf dem Areal des Tierheims selbst gibt es jedoch so gut wie keinen Schatten. Die gesamte Fläche ist asphaltiert und strahlt Hitze aus. Keine Büsche, Bäume oder Planen bieten Sonnenschutz, nicht einmal in den Zwingern ist ein schattiges Plätzchen sichergestellt.
Mit diesen Eindrücken fuhren wir zum Rathaus. Wir hatten einen Termin mit Frau Neslihan Güçlü Aydos,
eine junge aufgeschlossene für das Gesundheitswesen zuständige Beigeordnete der Stadt. Yasemin Baban und Banu Knüppel, Mitglied des ITV Grenzenlos übersetzten.
Das Gespräch verlief in freundlicher Atmosphäre, wir erhielten viele Informationen über die Problemlage in Beykoz, die Situation der streunenden Hunde und der Hunde im Wald von Beykoz, über die
Kastrationsmaßnahmen der Stadt (pro Tag werden 15 bis 20 Hunde kastriert) und vor allem über die Bemühungen des Bürgermeisters „fortschrittlichen Tierschutz“ zu betreiben. Dafür werden
Aufklärungskampagnen unternommen, Hausbesuche finden statt, und für die Vermittlung der Tierheim-Hunde wird geworben. Die zahlreichen Tiershops im Ort sollen nach und nach geschlossen werden.
Die Gemeinde bezahlt heute 6 Tierärzte – 2 davon sind im Tierheim mit der Kastration und dem Impfen der Streuner beschäftigt.
Wir schilderten unsere internationale Tierschutzarbeit und boten an, die Gemeinde zu unterstützen, um das Los der Hunde zu verbessern. Frau Neslihan Güçlü Aydos sieht keine Notwendigkeit, bei den
Kastrationsmaßnahmen zu helfen. Sie selbst schlägt stattdessen vor, die im Gespräch erwähnte mangelhafte Ausstattung des Tierheims mit Sonnenschutz zu verbessern – eine Maßnahme, die vom ITV
Grenzenlos als sinnvoll und notwendig angesehen wird. Es wird zugesagt, zu prüfen, wie ein gemeinsames Projekt zur Begrünung und teilweisen Überdachung des Tierheims von Beykoz aussehen könnte. Die Erarbeitung eines Konzepts wird seitens des ITV Grenzenlos zugesagt.